Besuch der West Cork Distillers oder: Von Genialität und Just Do It

Es ist laut, es klopft, es hämmert, es zischt – die Geräuschkulisse lässt nicht vermuten, dass wir uns in einer Brennerei befinden. Vor uns erhebt sich ein sechs Meter hohes Ungetüm, das seinen Spitznamen „The Rocket“ nicht von ungefähr trägt. Würde ich nicht wissen, dass es sich um eine Brennblase handelt, wäre ich vielleicht tatsächlich versucht, auf den Countdown für den Start zu warten. 1.000 Liter Maische in 7 Minuten destillieren – wer erfindet so etwas? Die West Cork Distillers, oder genau gesagt John O’Connell.

Bereits 2003/2004 hatte John mit seinen Partnern Denis und Ger McCarthy im nordirischen Örtchen Union Hall ganz im Kleinen damit begonnen, Whisky zu kaufen, zu blenden und weiterzuverkaufen. Der Erfolg machte 2008 einen ersten Umzug möglich und nötig und man begann mit eigener Destillation, man expandierte, vergrößerte. 2013 verlagerten West Cork Distillers die gesamte Firma nach Skibbereen in die Market Street und bis Ende dieses Jahres wird die Produktion der Brennerei erneut umziehen: Seit 2016 besitzt das Unternehmen ein großes ehemaliges Fabrikgebäude in der nur knapp 2 Kilometer entfernten Marsh Road.
Dort empfängt John am Morgen unsere kleine Gruppe aus Journalisten und Bloggern und zeigt uns die Bereiche, die bereits in der Marsh Road zu finden sind: Neben der Verwaltung sind das die Labore der Produktentwicklung und Qualitätssicherung, eine Abfüllanlage, zahlreiche Weinfermenter, großzügige Lagerräume und ein kleines Fasslager.

John hat vor der Zeit der West Cork Distillers als Lebensmittelchemiker für große Unternehmen gearbeitet. So überrascht es nicht, hier modernste Analysetechnik vorzufinden. Sie kann die Nase und das Wissen eines erfahrenen Brenners nicht ersetzen, meint John, aber unterstützen und entlasten. Dass John durch und durch ein Forscher und Erfinder ist und ihn die Frage nach dem „Was-geht-wie-warum-und-was-geht-eigentlich-noch-alles“ fest im Griff hat, zeigen die zwei unspektakulär wirkenden Flaschen, die er uns später nach dem Rundgang über das Gelände hier präsentiert. Sie beinhalten das Ergebnis eines seiner zahlreichen Experimente: In Sherryfässern gereiften Whiskey hat John noch einmal destilliert. In der einen Flasche befindet sich der New Spirit, in der anderen das Pot Ale, also die Rückstände dieses Brennvorganges, auf 40% gebracht. Todesmutig probieren wir und finden viel Frucht in beiden Proben. Weder Holz noch Sherry. Was fängt man mit dem Wissen an? John wird sicher etwas einfallen….

Innovation ist John O’Connells zweiter Vorname

Dass John O’Connell mit seiner innovativen Crew neben der Chemie auch die Technik meistert, zeigt sich in einer Halle mit großen Lagertanks: Eine „Flow Plate“ , eine Art Mischpult, das mich ein wenig an eine überdimensionierte Stecktafel einer alten Telefonverbindungszentrale erinnert, ermöglicht die effiziente Kombination aller Tanks, Abfüllgefäße, Wasserzuläufe und Pumpen. Im Bereich der Destillation wird uns diese Verbindungstafel erneut begegnen. Eine simple Grundidee in einem neuen Bereich umgesetzt – „Just do it“ ist das Motto vieler erfolgreicher Erfinder und bei West Cork scheint es das Leitmotiv schlechthin zu sein.

Die weiträumigen Lagerhäuser und die rege arbeitende Abfüllanlage geben uns einen kleinen Einblick in die breiten Geschäftsfelder der West Cork Distillers: Sie stellen Whisky, Gin und Wodka für die eigenen Labels her, aber auch im Auftrag für andere Marken. Sie fermentieren und vertreiben in großem Umfang Apfel- und Fruchtweine, engagieren sich als Distributeur für Biere und andere Getränke. Einen Eindruck vom Wachstum der Do-It-Yourself-Company nach vielen Seiten bekommen wir hinter dem Gebäude, wo große Lagertanks mit Fruchtweinen – alte Tanks, Second-Hand-Tanks, neue Tanks – neben ausrangierten, vor sich hin rostenden Maschinenteilen zu finden sind. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dicht bei dicht – man könnte zum Philosophen werden.

Im krassen Gegensatz zur Welt aus Licht und Edelstahl steht das Fasslager, in dem wir uns dann umsehen – wobei „umsehen“ ein wenig übertrieben ist angesichts der Dunkelheit, die uns dort umfängt. Wir suchen uns im Licht unserer Handys den Weg durch die vollen Reihen schlafender Fässer. Hier geht es eindeutig um die Zukunft. Ein vielversprechender Schatz. Aber es ist nur ein geringer Teil der Fässer im Bestand von West Cork Distillers. Wo sind die anderen? Und vor allem: Wo und wie entsteht das, was in den Fässern heranreift?

Die West Cork Distillery brennt … anders

Eine kurze Autofahrt von nicht einmal fünf Minuten bringt uns in die bisherigen Gebäude der West Cork Distillery. Hier schlägt unter der Aufsicht von Operation Manager und Master Distiller Patrick Harnedy laut und heiß das Herz der West Cork Distillery: Zur dreifachen Destillation haben die West Cork Distillers ein System aus fünf Brennblasen geschaffen. Die eingangs erwähnte „The Rocket“ (oder auch schlicht TPS) ist eine individuelle Kreation mit laut arbeitenden mechanischen Pumpen und Ventilen. Die Brennsäule fungiert als Wash Still und bringt die Maische (der übrigens eine Fermentationszeit von etwa 70 Stunden gegönnt wurde) von 13 auf 35% vol. Alkoholgehalt. Im Gegensatz zum Rekordtempo, mit dem sie destilliert, steht die langsame Destillation in den beiden Intermediat Stills (6 Stunden, Ergebnis 69% vol.) und den beiden deutschen Holstein-Pot Stills mit aufgesetzten Kolonnen (3-4 Stunden, Ergebnis 78% vol.). Das Ergebnis ist ein sehr reiner, sehr fruchtiger New Make.

Mögen die West Cork Distillers auch in vielen Dingen ihren eigenen Weg gehen und als bunter Hund in der Whiskyzene mal Kopfschütteln, mal ungläubige Bewunderung ernten, so haben sie bei der Entwicklung ihres Whiskys nicht darauf verzichtet, erfahrene, ja quasi „whiskyszenenkonforme“ Berater mit einzubeziehen. So wie beispielsweise den erst letztes Jahr verstorbene Barry Walsh, der über 20 Jahre Chief Blender von Irish Distillers war. Oder auch Frank McHardy, zuletzt Master Distiller bei Springbank und maßgeblich für die Wiedergeburt von Glengyle verantwortlich. Er kommt immer noch regelmäßig vorbei, um mit O’Connell und Harnedy am West Cork Whiskey zu feilen.

Hinter dem Gebäude erwartet uns ein Highlight der Besichtigungstour: Die West Cork Distillers haben vor einer Weile begonnen, Fässer zum Teil auch selbst auszubrennen. In Handarbeit werden Bourbonfässer hier mittels offener Flamme eines selbst konstruierten Ofens einer Temperatur von 500° C ausgesetzt. Je nach gewünschtem Grad des „Charrings“ dauert der Vorgang zwischen einer und vier Minuten. Patrick Harnedy führt uns vor, wie diese Prozedur vor sich geht. Und wieder scheinen wir kurz vor einem Raketenstart zu stehen….

Nach dem Charring können wir sehen und riechen, was das Feuer bewirkt hat und wie das verkohlte Holz noch nachraucht. Es sind verhältnismäßig wenige Fässer, die auf diese Art behandelt werden, aber auch in ihnen reift West Cork Whiskey heran als besondere Ergänzung des Portfolios der innovativen Brennerei.

Wenn sich John und seine Mitarbeiter auch sehr viel Zeit nehmen uns herumzuführen, hinter die Kulissen schauen zu lassen und mit Infos zu versoregen, muss die Arbeit natürlich trotzdem weiter gehen. Eine Getreidelieferung kommt und Quality Manager Shane Casey’s Qualitätskontrolle ist gefragt.

Auch hier in der Market Street wandern wir durch ein Lagerhaus und staunen über die Enge und Fülle – insgesamt 30.000 Fässer lagern West Cork Distillers mittlerweile hier, in der Marsh Road und auch zusätzlich in Glasgow. Bei der Produktionsmenge, die dieses Jahr von bisher 1.7 auf 3.5 Millionen Liter ansteigen soll, ist es kein Wunder, dass hier auf dem Gelände bereits ein weiteres Lagerhaus für 20.000 Fässer entsteht. Und es wird längst nicht das einzige bleiben. Die Zahl 10 fällt im Gespräch über die Planungen – think big…

Tasting: Die jungen Wilden sind im Glas plötzlich sanft

Und was reift da so in den verschiedenen Fässern heran? Am Abend bekommen wir in einem besonderen Tasting einen kleinen Einblick in das Fassmanagement von West Cork.  Aber nicht die bekannten, regulären Abfüllungen der West Cork Distillers stehen da vor uns auf dem Tisch (wer sich dafür interessiert, der sei auf einen meiner älteren Blogbeiträge hier verwiesen). Patrick Harnedy und Shane Casey haben frisch abgefüllte Fassproben von diversen Fassexperimenten mitgebracht. Verschieden lang gelagerte Spirits (die Range reicht von 6 bis 31 Monaten) aus Weizen, irischem Pot Still oder reinem Gerstenmalz zeigen eine aromatische Bandbreite zwischen säuerlichem Maischearoma und beeindruckenden Vanille- und Erdbeermarmeladennoten.

Auch Whiskeys präsentieren uns die stolzen West Corkler: Neben einem 10 Jahre alten Single Malt auch verschiedene Sechsjährige, von denen jeder zunächst drei Jahre im Bourbonfass verbracht hatte, ehe er für weitere drei Jahre in einem anderen Fass lagerte. Im ehemaligen Calvados-, Rotwein-, Ryewhiskey-, Cognac- oder auch einem Black Cask, einem nochmals ausgebrannten Bourbon Fass. Der sehr reine West Cork Spirit hat in den unterschiedlichen Fässern eine gewaltige Wandlung vollzogen. Es war eben nicht nur ein mehrmonatiges Finish, sondern eine Double Maturation.

In unserer kleinen Tastingrunde herrschte manchmal relative Einigkeit bei der Beurteilung, manchmal gingen die Meinungen auch weit auseinander. Wie immer, wenn es nicht nur um Handwerkskunst, sondern auch um persönlichen Geschmack geht. Während mir persönlich die Aromen, die im Rotweinfass entstanden, bereits zu intensiv, zu spicy und überladen waren, konnten das Calvados- und das Cognacfass auf meiner Rangliste sehr gut punkten. Eine feine, ausgewogene Nase und Aromen gedämpfter Äpfel mit angenehmem leicht trockenen Mundgefühl beim Calvadoswhiskey und Vanille, Rosinen, Eiche und Anklänge von Blockmalz beim Cognac – Für sechsjährige Whiskeys präsentieren sich diese beiden bereits sehr weich und rund. Sie sind vielversprechend, diese Fassexperimente.

Ein Fazit?

Es war eine Brennereibesichtigung der anderen Art. Eine geballte Fülle unterschiedlichster Eindrücke. Da ist absolute fachliche Kompetenz und höchste Intelligenz am Werk, die wohl nur noch übertroffen wird von der Neugier und dem Drang, Neues, Anderes, Besseres zu probieren. Eine Brennerei und gleichzeitig ein großes Versuchslabor. Ein Spielplatz. Aber auf der anderen Seite auch eine Großproduktionsanlage. Eine Brennerei, die längst den Kinderschuhen entwachsen ist. West Cork spielt bereits eine wesentliche Rolle in der irischen Whiskeylandschaft und exportiert in über 30 Länder. Für das eigene Portfolio kann man mittlerweile auf einen beachtlichen Bestand selbst produzierten Whiskeys zurückgreifen und kann so auch qualitative Konstanz bieten – die mittlerweile 45 Arbeitsplätze in Skibbereen sind wohl mehr als gesichert.

Offen gelegt: Die Reise zu den West Cork Distillers unternahm ich auf Einladung und Kosten des deutschen Importeurs Kirsch Whisky. Es erfolgte aber weder eine Einflussnahme darauf ob oder was ich darüber schreibe noch eine Honorarleistung dafür.