Priesterkragen und Whiskyglas: Interview mit Wolfgang F. Rothe

Vielleicht seid ihr Wolfgang F. Rothe auch schon einmal auf einer Whiskymesse begegnet. Ich bin sicher, wenn es so ist, dann erinnert ihr euch auch daran. Man sieht schließlich nicht viele Männer mit weißem Priesterkragen bei solchen Veranstaltungen. Wolfgang F. Rothe ist Pfarrvikar in der katholischen Gemeinde in Perlach. Und zugleich ist er whiskybegeistert, lädt zu Tastings ein und hat auf der Finest Spirits in München auch dieses Jahr wieder ein Seminar angeboten.
Viele werfen den Christen immer wieder Weltfremdheit vor und dass sie mit dem Thema Genuss allzu verkrampft umgingen. Aber ein Priester, der das hohe Lied des Whiskys singt? Da stutzen dann doch die meisten erst einmal. Ich habe Herrn Rothe bereits auf der Finest Spirits im vergangenen Jahr kennengelernt (von seinem Tasting dort hatte ich hier kurz berichtet). Aus den Erfahrungen in meiner eigenen Kirchengemeinde, in der ich mich engagiere, weiß ich, dass die meisten stirnrunzelnden Seitenblicke nicht aus den Reihen Außenstehender, sondern von denen der lieben Mitgeschwister kommen…. So habe ich einmal bei Wolfgang F. Rothe nachgefragt, was hinter seinem Engagement für den Whisky steckt und ob/wie es sich mit seinem geistlichen Stand vereinbaren lässt.

Rothe 1Whisky ist nicht gerade das Getränk, an das man im Zusammenhang mit Kirche denkt. Da käme den meisten vermutlich eher Wein in den Sinn. Wie kommt ein katholischer Geistlicher zum Whisky?

Wolfgang F. Rothe: Whisky ist, historisch betrachtet, ein Produkt der Kirche: Die Kunst der Destillation gelangte im Zuge der Christianisierung nach Irland und etwas später auch nach Schottland, da man in den Krankenstationen der damals in großer Zahl entstehenden Klöster hochprozentigen Alkohol zur Herstellung medizinischer Tinkturen benötigte. Dort, in den Klöstern, wurde die Kunst der Destillation im Laufe der Jahrhunderte immer mehr verfeinert, so dass man irgendwann festgestellt haben dürfte, dass das, was gut tat, auch ganz gut schmeckte.
Persönlich verdanke ich die „Entdeckung“ des Whiskys ebenfalls der Kirche, näherhin meinem kirchlichen Beruf: Vor etlichen Jahren war ich bei einer hochadeligen Familie eingeladen, um ein seelsorgliches, näherhin kirchenrechtliches Problem zu besprechen. Nach dem Essen wurde Whisky gereicht, den ich mich aufgrund des vornehmen und auch etwas einschüchternden Ambientes nicht abzulehnen traute. Dabei hatte ich alkoholischen Getränken bis zu diesem Abend wenig bis gar nichts abgewinnen können; eine zeitlang war ich sogar überzeugter Antialkoholiker gewesen. Bis heute weiß ich nicht, welchen Whisky ich damals im Glas hatte – aber von jenem Abend an war meine Leidenschaft erwacht. Dieser schottische Single Malt Whisky – um einen solchen muss es sich nämlich gehandelt haben – kam für mich einer Offenbarung gleich!

Nun ist eine private Leidenschaft das eine, sie in der Öffentlichkeit bewusst zu leben und weiterzugeben das andere. Warum haben Sie sich entschlossen, Whiskyseminare und -reisen anzubieten und so „Werbung“ zu machen für den Whisky?

Über viele Jahre hinweg habe ich vergeblich nach einer Möglichkeit gesucht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die mit Glaube und Kirche nichts oder nichts mehr anfangen können. Ob Gesprächskreise zu vermeintlich brennenden Themen oder bewusst reißerisch angekündigte Vortragsabende – nichts funktionierte. Immer kamen, von Ausnahmen abgesehen, dieselben Leute – ein paar fromme Frauen fortgeschrittenen Alters. Damit aber wollte ich mich nicht zufrieden geben – so willkommen mir jene frommen Frauen fortgeschrittenen Alters auch waren und sind.
Die Idee mit dem Whisky kam mir in einer schlaflosen Nacht; ihre Umsetzung war zunächst als einmaliges Experiment gedacht. Doch schon der erste „spirituelle Whisky-Abend“ war komplett ausgebucht – und jeder weitere auch. Und mit einem Mal kamen nicht nur fromme Frauen fortgeschrittenen Alters, sondern sowohl jüngere Leute als auch ältere, Männer ebenso wie Frauen, Fromme und weniger Fromme, Katholiken, Protestanten, aus der Kirche Ausgetretene sowie Menschen anderer Religion oder Weltanschauung. Der Whisky trägt dazu auf dreifache Weise bei: Erstens macht er die Menschen – zumal im Zusammenhang mit Glaube und Kirche – neugierig; zweitens dient er mir als eine Art Gleichnis, um religiöse Botschaften und Werte auf sinnenfällige, lebensnahe, lebensbejahende Weise zu vermitteln; und drittens lockert er die Stimmung ebenso wie die Zungen, so dass man viel leichter ins Gespräch kommt als bei trockenen Vorträgen und Bibelgesprächen.

 „Uns ist alles erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“ heißt es in der Bibel. Ist auch einem katholischen Priester alles erlaubt? Gibt es von Seiten Ihrer Kirchenleitung keine Einwände oder Bedenken hinsichtlich Ihres Whisky-Engagements?

Klar, einem katholischen Priester ist nicht alles erlaubt. Ein ausdrückliches Verbot steht allerdings weder meiner Begeisterung für Whisky noch meinen entsprechenden Aktivitäten entgegen – und sei es nur, weil es so etwas vorher noch nicht gegeben hat. Mit Einwänden und Bedenken musste ich mich dennoch immer wieder auseinandersetzen: Mehrere übereifrige und allzu strenge Gläubige, darunter auch Geistliche, haben Beschwerdebriefe an meine Vorgesetzten geschrieben, woraufhin ich mich diesen gegenüber schriftlich oder mündlich erklären musste. Letztlich zeigten sich meine Vorgesetzten aber durchweg offen und verständnisvoll, ließen mich nicht nur gewähren, sondern ermutigten mich sogar. Alles andere wäre auch schwerlich mit dem Beispiel Jesu vereinbar, der schließlich sein erstes Wunder wirkte, indem er eine nicht unerhebliche Menge Wasser in Wein verwandelte (Joh 2,1-11), und, weil er kulinarischen Genüssen gegenüber offenbar nicht abgeneigt war, von seinen Gegnern als „Fresser und Säufer“ (Mt 11,19) verunglimpft wurde.

Welche Bedenken werden denn hinsichtlich Ihres Engagements geäußert? Geht es da um Alkohol an sich oder um Ihre Seminare?

Der Hauptvorwurf lautet, ich würde den Konsum von Alkohol fördern. Tatsächlich ist aber das glatte Gegenteil der Fall, denn es ist mir wichtig, den Leuten mithilfe des Whiskys klar zu machen, dass nicht die Menge der Maßstab des Genusses ist, sondern die Mäßigung. Anders ausgedrückt: Um etwas genießen zu können, braucht man nicht viel davon. Jeder einzelne Tropfen Whisky vermag bereits vollen Genuss zu bieten! Und was für Whisky gilt, gilt auch für jeden anderen Genuss, den diese Welt und dieses Leben zu bieten hat. Maßlosigkeit hingegen verhindert echten Genuss, denn Maßlosigkeit führt unweigerlich zu Abstumpfung und Abhängigkeit. Wenn man verbieten wollte, diese Erfahrung zu vermitteln, müsste man auch Fahrschulen verbieten mit dem Argument, dass dadurch das Autofahren gefördert und die Unfallgefahr steigen würde.

Wie gehen Sie persönlich mit diesem Konflikt, diesem Zwiespalt um in dem Sie stehen? Auf der einen Seite die Erfahrung, durch Ihr Whisky-Engagement wertvolle Kontakte zu knüpfen und dabei auch über den Glauben erzählen zu können und auf der anderen Seite immer wieder dieses „Sich-rechtfertigen-müssen“. Ist das nicht kräftezehrend?

Neue Wege sind häufig ein wenig steiniger, unbequemer und unter Umständen auch gefährlicher als solche, die altbekannt und vielleicht auch schon ein wenig ausgetreten sind. Wer neue Wege sucht und ausprobiert, muss mit Hindernissen und Rückschlägen rechnen, darf sich aber auch an neuen Perspektiven und Erfahrungen erfreuen. Insofern muss man solche Konflikte einfach aushalten. Es lohnt sich in jedem Fall.

Sie sagen, Sie können den Whisky benutzen, um religiöse Vorstellungen und Werte zu vermitteln. Sie sprechen von gleichnishafter Botschaft und von Lebensbejahung. Können Sie uns kurz erläutern, was es damit auf sich hat und wie Sie den Whisky mit dem Christsein verknüpfen?

Diesbezüglich gibt es gleich mehrere Ansätze. In der ältesten erhaltenen urkundlichen Erwähnung schottischen Whiskys wird dieser als „aqua vitae“, als „Wasser des Lebens“, bezeichnet; die Bezeichnung „Whisky“ kommt aus dem Gälischen und meint, in abgekürzter Form, genau dasselbe. „Wasser des Lebens“ aber ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Bibel stammt und vor allem im letzten biblischen Buch, der Offenbarung des Johannes, eine zentrale Rolle spielt. „Wer durstig ist, den werde ich“ – gemeint ist Gott – „umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt“ (Offb 21,6), heißt es da zum Beispiel. „Wasser des Lebens“ meint in diesem Zusammenhang die Zuwendung, den Beistand, die Liebe Gottes, das, was in der Theologie als „Heil“ oder „Gnade“ bezeichnet wird. Gott will das Leben nicht beengen und belasten, sondern erleichtern, bereichern, befreien. Das Christentum ist, recht verstanden, keine Ge- und Verbotsreligion, sondern eine Religion der Lebensbejahung und der Lebensfreude – und zwar sowohl im Blick auf dieses Leben als auch im Blick über dieses Leben hinaus! Das war und ist im Christentum oftmals in Vergessenheit geraten.

Rothe 2Sie verzeihen, aber das klingt doch recht theoretisch und vielleicht ein wenig weltfremd für alle, die sich mit dem Christsein sonst nicht näher beschäftigen. Können Sie uns eventuell ein anschauliches, alltagsnahes Beispiel geben?

Gerne. Als ist vor ein paar Jahren Frank-Michael Böer, den Veranstalter des Münchener Whisky-Festivals „finest spirits“ kennenlernte, sagte er mir: „Was ich Euch, der Kirche, vorwerfe, ist, dass Ihr nicht dort seid, wo die Menschen gerne sind!“ Wie Recht er damit hat! Von Jesus wird in der Bibel ständig berichtet, dass er an Hochzeiten, Festen und Abendgesellschaften teilnahm, um unter den Menschen zu sein, ihnen zuzuhören, ihre Freuden und Sorgen zu teilen und ihnen zu sagen: Gott ist der Gott des Lebens, ist das Leben selbst! Was mir Frank Böer – übrigens ein kritischer, aber bekennender evangelischer Christ – damals sagte, hat mich bis ins Mark getroffen und sehr nachdenklich gemacht. Es ist für mich zu einer Art Motto geworden.
Dazu passt, dass Whisky wie kaum etwas anderes die wunderbare Vielfalt und Fülle der Schöpfung widerspiegelt; die Welt des Whiskys ist so etwas wie die Welt in destillierter, konzentrierter Form. Das Wunderbare daran ist aber nicht nur die Vielfalt und Fülle, die man dabei entdecken und erleben kann, sondern ebenso auch das Zusammenspiel von Gott und Mensch, von göttlicher und menschlicher Schaffenskraft. Genau das ist gemeint, wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass sich der Mensch die Erde untertan machen soll (vgl. Gen 1,28): nicht die Ausbeutung, sondern die Nutzbarmachung der irdischen Ressourcen zum Wohl des Menschen.
Einen weiteren Ansatz bietet die Herstellung von Whisky, der, bevor er genossen werden kann, erst einmal für ein paar Jahre in engen, dunklen Fässern verbringen muss. Auch im menschlichen Leben gibt es immer wieder Phasen der Einengung und der Dunkelheit, Phasen des Leids und der Angst. Doch gerade solche Phasen – wie zum Beispiel Krankheiten, berufliche Krisen, Beziehungsprobleme oder einfach die Erfahrung des Älterwerdens und Alterns – können sich als nützlich erweisen, wenn man sie nicht als verlorene Zeit, sondern als Zeit des Reifens betrachtet. Wie das geht, kann man vom Whisky lernen: denn ein Whisky wird mit jedem Jahr, das man ihn reifen lässt, nicht nur älter, sondern in der Regel auch besser.

Vielen Dank für diese Einblicke in Ihren persönlichen Ansatz, Genuss und Christsein als sich bedingende Einheit zu sehen. Ich vermute, man kann Ihnen auch künftig bei Messen und anderen Whiskyevents begegnen. Was steht in dieser Richtung an, gibt es schon neue Termine oder Projekte?

Als nächstes steht die vermutlich erste „Whisky-Wallfahrt“ an: Ende Mai reise ich mit einer Gruppe von 30 Personen aus meiner „Whisky-Gemeinde“ nach Schottland, wo wir Orte besuchen, an denen sich Spiritualität und die Spirituose Whisky sehr nahe kommen; um ein Beispiel zu nennen: Dort, wo sich heute die „Whisky-Metropole“ Dufftown befindet, gründete im 6. Jahrhundert der heilige Moluag, ein Schüler des heiligen Kolumban von Iona, ein Kloster, dessen Name bis heute in der nur wenige Schritte vom einstigen Klosterareal entfernten Destillerie Mortlach weiterlebt.
Auf Whisky-Messen lasse ich mich, sofern es mir von meinen „normalen“ seelsorglichen Aufgaben her möglich ist, immer gerne blicken, weil man dort ganz wunderbare Menschen kennenlernen und wiedersehen kann.
Tastings veranstalte ich mindestens einmal pro Monat; ich spreche allerdings lieber von „spirituellen Whisky-Abenden“, weil ich dabei in wechselnder Form versuche, Glaube und Genuss in Einklang zu bringen und eine ebenso lebensbejahende wie alltagstaugliche Spiritualität zu vermitteln. Denn Glaube und Genuss stehen nicht nur nicht im Widerspruch zueinander, sondern gehören untrennbar zusammen: Jeder echte Genuss ist nichts weniger als ein Vorgeschmack des Paradieses.

Herzlichen Dank für das Interview!

Update: Mittlerweile ist das Buch „Wasser des Lebens – Einführung in die Spiritualität des Whiskys“ von Wolfgang F. Rothe erschienen. Ich stelle es euch hier vor.

Bild 1: Rothe
Bild 2: Milde